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Berufsunfähigkeitsversicherung: Nicht immer ist der Grad der Berufsunfähigkeit entscheidend

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Urteil verkündet, das viele Versicherte aufhorchen lassen wird. Die Richter bejahten den Anspruch auf eine Rentenzahlung, obwohl die Klägerin nicht die vertraglich vereinbarte Berufsunfähigkeit von 50 % erreicht hatte (Az. IV ZR 535/15 vom 19. Juli 2017).

Dieser Fall könnte weite Kreise ziehen

Der Regelfall sieht so aus: Immer dann, wenn ein Versicherter seinen zuletzt ausgeübten Beruf in der Art und Weise, wie er vor dem Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgestaltet war, dauerhaft (in der Regel mindestens sechs Monate) nicht mehr ausüben kann, springt die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) mit einer monatlichen Rente ein. Nach § 172 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz kann zusätzlich vereinbart werden, dass der Versicherte auch keine andere Berufstätigkeit ausüben kann, zu der er aufgrund seiner Fähigkeiten in der Lage wäre und die seinen Lebensumständen entspricht, damit die Voraussetzungen für die vereinbarten Leistungen erfüllt sind. Das heißt auch: Es kommt weder darauf an, ob der Versicherte an seiner Situation selbst schuld ist noch ob er einen anderen Beruf ausüben könnte. Bei Vorsatz erlischt allerdings wie bei jeder anderen Versicherung die Leistungspflicht.

Im verhandelten Fall hatte die Klägerin bei einer großen Anwaltskanzlei als Hauswirtschafterin gearbeitet und war dort das „Mädchen für alles“: Sie wurde fürs Putzen, Einkaufen und Kochen für bis zu 30 Personen bezahlt. Ihre Tätigkeit endete, als sie nach einem Treppensturz an so starken dauerhaften Rückenbeschwerden und chronischen Schmerzen litt, dass sie nicht mehr schwer tragen konnte. Das war das Aus für ihren Job in der Kanzlei. Seit dem Unfall ist sie nur noch zu leichten Helfertätigkeiten im Haushalt im Umfang von drei Stunden pro Tag in der Lage.
Die Hauswirtschafterin hatte sich jedoch mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vor solch einer Situation geschützt. Als sie dann die Zahlung der vereinbarten Leistung beantragte, weigerte sich die Assekuranz. Ihr Argument: Der Versicherungsvertrag enthält eine Klausel, wonach die Leistung erst dann gezahlt werden muss, wenn die Berufsunfähigkeit bei mindestens 50 % liegt. Gutachter hatten allerdings festgestellt, dass das Tragen von schweren Lasten nur zu 20 % den Arbeitsalltag der Klägerin ausmacht.

BGH-Richter wenden sich von starrer Regelung ab

Diesem Argument sind die Richter nicht gefolgt. Sie bemängelten, dass die bestellten Gutachter jede einzelne von der Klägerin verrichtete Tätigkeit als jeweils isolierten Bestandteil des täglichen Berufslebens gewertet hatten. Im verhandelten Fall standen der Hauswirtschafterin jedoch nur wenig Zeit und sehr begrenzte finanzielle Mittel für den Einkauf der Lebensmittel zur Verfügung, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als diese in preisgünstigen Großpackungen zu kaufen. Der Bemessung des Umfangs der Berufsunfähigkeit darf aber nicht nur der für die jeweilige Verrichtung nötige Zeitanteil zugrunde gelegt werden, wenn diese Tätigkeit untrennbar zu einem beruflichen Gesamtvorgang gehört. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin wegen des knappen Budgets beim wöchentlichen Einkauf im Großmarkt z. B. Kartoffeln in 25-kg-Säcken oder Reis, Milch und Mehl in Großpackungen kaufen müssen, die zwischen 5 und 10 kg schwer waren. Diese Lasten musste sie ohne Hilfsmittel in den Keller der Kanzlei bringen, wozu 15 bis 20 Wege zurückgelegt werden mussten. Der BGH bewertete den Einkauf als untrennbaren Bestandteil der vertraglich vereinbarten Kantinenversorgung der Mitarbeiter. Kurz: ohne Lebensmittel kein Mittagessen. Die Richter bemängelten, dass die Gutachter nicht nur den zeitlichen Rahmen, der für das Einkaufen nötig ist, hätte berücksichtigen müssen; sie hätten auch prüfen müssen, inwieweit sich der Wegfall des Arbeitsbereichs der Mittagessenversorgung auf die Ausgestaltung der gesamten Berufstätigkeit in der Kanzlei auswirkt.

Das Berufungsgericht (OLG Stuttgart) muss nun prüfen, ob und in welchem Maße sich die Beeinträchtigungen der Hauswirtschafterin auf ihre Fähigkeit, die Kanzleikantine zu betreiben, auswirken und sie wegen ihrer Einschränkungen bei anderen Tätigkeiten eine Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % erlangen kann.

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